Stefan Rosenboom Stefan Rosenboom

Thoreau

Der weiße Stuhl

Diese Geschichte beginnt mit einem Geständnis. Ich habe Henry David Thoreaus Buch “Walden oder Hüttenleben im Walde” nie ganz gelesen. Ich will nicht bis zur letzten Seite kommen, will nicht , dass es zu Ende ist. Und so begleitet mich dieses Buch schon ein halbes Leben.

Meine Zeit hier in der kleinen Hütte am Rande des Waldes ist eine Illusion, wie der Wunsch nach Entschleunigung und Ruhe. Ich gebe mich dieser Illusion hin, wissend und nur aufgehalten von mir selbst, lasse ich mich erschöpft fallen.

Nachtuntergang und ich breche auf. Es regnet noch immer, immer noch leise. Warum ist es so still, kein Vogel ruft, ich begegne keinem Menschen. Ich bin ohne Sprache. Endlich ruft ein Schwarzspecht, erlösend und tröstlich sein klagender Schrei.

Ich gehe und denke. Natur, Natur sein lassen, Mensch, Mensch sein lassen. Das Maß ist abhanden gekommen, so wird die Welt uns verlieren. Der kalte Nebel kriecht unter die Jacke, freue mich auf meine Hütte und den treuen Ofen. Der weiße Stuhl wird wissen wollen, was ich heute erlebt habe.

Sonne erfüllt den kleinen Raum. Ich bleibe heute an meiner Hütte, bin nicht bereit draussen wieder niemandem zu begegnen. Erschöpfte Farne befreien sich aus ihrer eisigen Ummantelung, der Waldboden beginnt zu dampfen und ich fotografiere mir die Sprachlosigkeit aus dem Kopf.

Kolkraben fliegen, sie schweben wie schwarze Tintentropfen in einem seidengrauen Himmel. Ich laufe lautlos auf weichem Waldboden, federnd, fast leicht. Meine Augen suchen vergebens nach katzengleichen Konturen, doch ich habe ihn gespürt, den Luchs, sein Blick auf meinem trägen Körper. Es ist eine schöne Vorstellung, von einem Luchs gesehen worden zu sein. Es dämmert, ich muss zurück. Diese Zeit in der Hütte hat mich nicht verändert, doch ich weiß jetzt etwas besser, wer ich bin.

Schönheit des Vergangenen

Schönheit des Vergangenen

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Diese Geschichte ist entstanden auf Einladung des Waldzeit Vereins im Bayerischen Wald. Anlass zu diesem Projekt, ist das 50 Jährige Jubiläums des Nationalparks.

“Danke, für diese wertvolle Zeit”

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Stefan Rosenboom Stefan Rosenboom

Unterwegs

Du bist schon längst unterwegs

Uns haben diese Reisen zu Fuß an den Rand des Tellers geführt, auch an die eigenen Grenzen. Reisen zu Fuß, das Wandern, schafft Raum und Zeit, es ist ein einfacher Schlüssel für die Auseinandersetzung mit den brennenden Themen unserer Generation. Sich herausnehmen aus der Geschwindigkeit, mit der Möglichkeit der stillen Betrachtung, denn es ist niemand da, der uns sonst aufhält.

Das Gefühl von Wildnis, oft auch eine Form von Selbstbetrug, denn echte Wildnis ist rar geworden auf unserer Erde, ist so wichtig für unser Sein und für das Verstehen der Zusammenhänge.

Wir können nicht sein ohne Wildnis, ohne eine Ahnung davon, wo unser Ursprung liegt. Stell dir, vor es singen keine Vögel mehr – das Hören wäre sinnlos. Also, hinaus in die Berge, in die Wälder, an die Meere, ans Eis, auf die Vulkane, Verbindung aufnehmen mit unserem Ursprung. Fühlen, was Sturm bedeutet, Regen, Hitze und die Suche nach Wasser. Sich entrückt fühlen, um sich selber ganz nah zu kommen.

Und erst die Menschen ! Das Erleben anderer Kulturen ist das größte Abenteuer, denn es rührt an, es schockiert, es macht Freude und auch traurig. Freundschaften am Ende der Welt – Abschiede.

Reisen bildet, Reisen öffnet das Herz und vor allem den Geist. Und das Wandern macht es möglich, auch die kleinen Details zu erblicken. Zusammenhänge verstehen, im großen und im kleinen. Widersprüche werden deutlich. Wir können es uns leisten, zu reisen, an die Ränder der Welt. Wir erleben Abenteuer mit Rückreiseversicherung, mit der Möglichkeit, den Problemen wie Naturzerstörung, soziale Ungerechtigkeiten, Rassismus und Willkür einfach davonzufliegen.

Und vielleicht liegt auch darin die Lösung, sich selbst zu fragen, wie wichtig ist mir eine Reise, wie bedeutend das Reiseziel, der Wunsch, diese Kultur, diese Wildnis zu erleben. Ich möchte begeistert und beseelt von einer Reise berichten und mich nicht rechtfertigen müssen.

Die Entwicklung einer eigenen Reiseethik, Verantwortung, Respekt und am Ende eine Erkenntnis. Die Erde entdecken ist so wichtig. Reisen schafft Werte, Respekt, Toleranz. Reisen schafft Hoffnung und macht einfach Spaß. Silja ist jetzt 17 Jahre alt, Generation „Klimawandel“, sie hat schon viel gesehen von dieser Welt. Immer waren wir als Familie unterwegs, fast immer zu Fuß, langsam und mit dem Wunsch, unterwegs aufgehalten zu werden. Nun bricht sie alleine auf zu ihren Wanderungen, sie packt ihren Rucksack, nimmt den Zug und läuft einfach los - und ich bin stolz.


Im wilden Val Calanca

Im wilden Val Calanca

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“ Du bist schon längst unterwegs”

Ein Projekt von Tochter und Vater, ein Buch über das Reisen zu Fuß.

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